Henrike Stein
"Col." steht kaum erkennbar in der oberen rechten Ecke einer Zeichnung des Heiligen Paulus, die vermutlich von einem italienischen Künstler stammt. Der Apostel trägt eine große Vase vor seiner Brust, auf der das jesuitische Ordenszeichen IHS (kurz erklärt) prominent abgebildet ist. Auf diese Weise wird er – der Missionar des frühen Christentums – zu einem direkten Vorgänger der Jesuiten stilisiert. Das Blatt ist quadriert und diente somit als Vorlage für eine Vergrößerung der Darstellung, zum Beispiel bei der Übertragung des Motivs auf ein Gemälde. [1] Es stammt aus der quantitativ umfangreichsten Sammlung, die sich im Kölner Jesuitenkolleg (kurz erklärt) befunden hat, dem Konvolut an Zeichnungen und Druckgraphiken, und spiegelt die Geschichte dieser Teilsammlung in besonders markanter Weise wider.
Über die Entstehung und Entwicklung der Sammlung in jesuitischer Zeit ist nur wenig gesichert und bekannt. Der Beginn der Sammlung der ehemaligen Kölner Jesuiten geht wohl in das 17. Jahrhundert zurück, in dem das Kolleg vor allem von Schenkenden und Stiftenden mit Büchern und vermutlich auch mit Druckgraphiken und Handzeichnungen bedacht wurde. Auch eigene Ankäufe von Reproduktionsgraphiken sind wahrscheinlich. Eine zentrale Figur bei der systematischen Anlage der Sammlung war der Jesuitenpater Philipp Stolzen (1684–1757), der nach verschiedenen Stationen an Jesuitenkollegien der niederrheinischen Provinz von 1710 bis 1712 in Köln am Gymnasium Tricoronatum (kurz erklärt) Theologie studierte und dies im Jahr 1713 mit der Promotion abschloss. Stolzen war 1724/25 noch einmal am Kölner Kolleg tätig, bevor er ab 1727 nach Rom ging, um dort das Amt des Prokurators der Deutschen Assistenz am Collegium Romanum (kurz erklärt) zu bekleiden. Er war demnach im spirituellen und institutionellen Zentrum des Jesuitenordens (kurz erklärt) in Rom für die Interessen der deutschen Niederlassungen zuständig. Aus Rom pflegte er enge Verbindungen in die niederrheinische Provinz, vor allem nach Köln. Während seiner Zeit in Rom betätigte sich Stolzen als Netzwerker und bald auch als Sammler. Im Rufe eines Kunstkenners begann er in Rom, Druckgraphiken und Zeichnungen aus der Stadt selbst, aus ganz Italien sowie aus anderen europäischen Ländern wie Holland oder Frankreich anzukaufen und (wohl auch für die Kölner Niederlassung) zu sammeln. Im Bestand waren demnach viele Druckgraphiken und Zeichnungen der Renaissance und des Barock, auch solche, die von oder nach „großen Meistern“ wie Michelangelo oder Raffael gefertigt wurden. [2]
Stolzens Kontaktperson im Kölner Kolleg war vermutlich Hermann Joseph Hartzheim (1694–1763), der ab 1735 Regent (kurz erklärt) des Gymnasium Tricoronatum war und sich um die jesuitischen Sammlungen sehr verdient gemacht hat. Zudem stand er in (beruflichem) Austausch mit dem Düsseldorfer Maler und Akademiegründer Wilhelm Lambert Krahe (1712–1790), der in Rom für den Jesuitenorden zahlreiche Auftragsarbeiten ausführte und sich auch als Sammler vor allem von italienischen Zeichnungen hervortat. Der Kontakt zwischen Stolzen und Krahe ist wohl der Grund für den ansehnlichen Anteil italienischer Zeichnungen und Drucke in der Kölner Sammlung, die einige tausend Stück umfasste. Auch die eingangs beschriebene Zeichnung des Heiligen Paulus stammt aus diesem Konvolut. [3]
Neben den römischen Protagonisten Stolzen und Krahe erweiterten auch Kölner Ordensbrüder die Sammlung. Sie kauften Blätter aus lokalen Sammlungen der Stadt oder auch aus dem überregionalen Kunsthandel. Zudem dürften einige Werke aus Schenkungen stammen. Teilweise gaben die Jesuiten auch eigene Druckgraphiken und Zeichnungen bei (Kölner) Künstlern in Auftrag, zum Beispiel, um Motivreihen zu vervollständigen oder um spezifische jesuitische Themen für den Einsatz in der Lehre zu erhalten. [4]
Der Großteil der verschiedenen Druckgraphiken – vor allem Kupferstiche, Holzschnitte oder Radierungen – und Handzeichnungen wurde im Kölner Jesuitenkolleg vermutlich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in 208 Bände verschiedener Formate eingeklebt, die in weißem Pergament und mit vergoldeten Rücktiteln hochwertig eingefasst waren. Außerdem gab es gedruckte Bildbände. Die Graphiken in den einzelnen Bänden waren nach Technik, Künstler oder Themen sortiert. Die Sammlung hatte in erster Linie eine bildpädagogische Funktion. Die Bildwerke dienten als Anschauungsmaterial im Unterricht der Theologie, aber auch der Altertumskunde oder der Geschichte. Die religiösen Werke wurden auch bei Exerzitien verwendet. Überdies fungierten die Blätter als Vorlagen für die künstlerische Ausbildung ihrer Schüler, denn die Kölner Jesuiten führten im 18. Jahrhundert den Zeichen- und Malunterricht ein. [5]
Mit der Aufhebung des Jesuitenordens im Jahre 1773 übernahm die Stadt Köln die Leitung über das Gymnasium Tricoronatum und die Verwaltung der ehemaligen jesuitischen Sammlungen und Güter. Das Inventar von 1774 führt „eine ahnsehnliche Collection von mehr als dreyßig tausend raren Kupferstichen und vortreflichen Zeichnungen“ auf, [6] die im Musaeum antiquitatum et rerum curiosarum (kurz erklärt), dem Studierzimmer für Antiquitäten und Kuriositäten, zusammen mit der Sammlung von Naturalien, Antiken und Münzen untergebracht waren. Im Jahr 1779 erstellte der Leiter dieses Musaeum im ehemaligen Jesuitenkolleg, Jacob Heyder (1745–1798), einen Katalog der Graphik- und Zeichnungssammlung, als die Stadt Köln die Kunstwerke zwischenzeitlich zum Verkauf anbieten wollte. Glücklicherweise kam dieser aber nie zustande, weil die Verantwortlichen den (kulturellen) Wert der Sammlung entdeckten. Die Auflistung zeigt genau, welche Motive und welche Art von Werken sich in der Sammlung befunden haben. Darunter waren zum Beispiel antike Themen, Architektur, Herrscherbilder, Stadtansichten und Landesbilder, berühmte Jesuiten, berühmte Bauwerke, militärische Zeichnungen, Theater, Tierdarstellungen und emblematische Darstellungen. Aufgeführt sind über 30.000 Werke, genauer gesagt 26.949 Druckgraphiken und 6.113 Zeichnungen. [7]
Als die Franzosen im Oktober des Jahres 1794 in Köln einmarschierten (kurz erklärt) und sich der kölnischen Kunst- und Kulturgüter bemächtigten (kurz erklärt), brachten sie schnell auch die 208 Foliobände mit Druckgraphiken und Zeichnungen auf den Weg nach Paris. Dort wurden die Werke aus den Foliobänden herausgelöst und in die Sammlungssystematik vor Ort einsortiert. 177 dieser Foliobände gingen an das Musée des Arts, den heutigen Louvre. 143 davon gelangten später in das Département des Estampes. Die restlichen 31 Bände sind wahrscheinlich direkt in das Département des Imprimées der Pariser Nationalbibliothek gekommen.
Nach dem Ende der französischen Herrschaft im Jahre 1815 konnten ungeachtet aller Kölner Rückforderungen lediglich 7.470 Druckgraphiken und 523 Zeichnungen zurückerworben werden, die schließlich gemeinsam mit der Sammlung Ferdinand Franz Wallrafs den Grundstock der Graphischen Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums bildeten. Das jesuitische Konvolut eint der Stempel „Col.“, französisch für „Cologne“, in der oberen rechten Ecke, welcher die Blätter bis heute kennzeichnet und somit die wechselhafte Provenienz erkennbar werden lässt. Die qualitativ hochwertigsten Stücke der Sammlung, vor allem die Originale italienischer und niederländischer Meister, verblieben jedoch in Frankreich und befinden sich bis heute im Louvre oder in der Bibliothèque Nationale. Nach Köln zurück kamen überwiegend Blätter mit religiösen Motiven und Reproduktionsgraphiken. Der heutige Kölner Bestand an Druckgraphiken und Zeichnungen ist demnach nicht repräsentativ für die ursprüngliche Zusammensetzung der Sammlung im Jesuitenkolleg. [8]
Die Sammlung der Druckgraphiken befindet sich in der Datenbank Kulturelles Erbe Köln.
Die Zeichnungssammlung befindet sich in der Datenbank Kulturelles Erbe Köln.
[1] Vgl. Michael Venator, Der Heilige Paulus, in: Thomas Ketelsen / Ricarda Hüpel (Hrsg.), Wir Glauben Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuitensammlung ‚Col.‘. Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud Köln vom 24. Mai bis 18. August 2019, Köln 2019, S. 64, Kat.-Nr. 4; Michael Venator, Bildanspruch und Wirklichkeit. Einblicke in die Zeichnungssammlung der Kölner Jesuiten, in: Thomas Ketelsen / Ricarda Hüpel (Hrsg.), Wir Glauben Kunst. Bildermacht und Glaubensfragen. Meisterzeichnungen aus der Kölner Jesuitensammlung ‚Col.‘. Ausstellung des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud Köln vom 24. Mai bis 18. August 2019, Köln 2019, S. 14–25– hier: S. 20f.
[2] Vgl. Dietmar Spengler, Spiritualia et pictura. Die Graphische Sammlung des ehemaligen Jesuitenkollegs in Köln. Die Druckgraphik, Köln 2003, S. 44–55; Claudia-Alexandra Schwaighofer, col. – „ENVOI de COLOGNE“. Die Graphische Sammlung des ehemaligen Kölner Jesuitenkollegs in Paris, unveröffentlichtes Manuskript, München 2011; Christoph Bellot, Für Auge und Verstand. Grafische Sammlung und physikalisches Kabinett des ehemaligen Kölner Jesuitenkollegs, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hrsg.), Bildung stiften, Köln 2000, S. 120–147.
[3] Vgl. Spengler, Spiritualia et pictura (wie Anm. 2), S. 52–55.
[4] Vgl. Dietmar Spengler, Die Graphische Sammlung des ehemaligen Jesuitenkollegs in Köln, in: Hiltrud Kier / Frank-Günter Zehnder (Hrsg.), Lust und Verlust. Kölner Sammler zwischen Trikolore und Preußenadler, Köln 1995, S. 37–47, hier: S. 38f.
[5] Vgl. Spengler, Spiritualia et pictura (wie Anm. 2), v. a. S. 185–220.
[6] Abgedruckt bei: Gunter Quarg, Die Sammlungen des Kölner Jesuitenkollegiums nach der Aufhebung des Ordens 1773, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 62 (1991), S. 153–173, hier: S. 155.
[7] Vgl. Quarg, Sammlungen (wie Anm. 6), S. 155–157; Spengler, Graphische Sammlung (wie Anm. 4), S. 37–47.
[8] Vgl. Spengler, Graphische Sammlung (wie Anm. 4), S. 37–47.