Himmel und Erde in der jesuitischen Lehre

Henrike Stein

Adam Schall von Bell als Hofastronom in China, aus: Athanasius Kircher, China monumentis, qua sacris qua profanis, 1668, niederländische Ausgabe
Gymnasialbibliothek, GBXIV371 | Bildnachweis: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

Seit der Gründung des Jesuitenordens (kurz erklärt) hatten die Astronomie und auch die Geographie einen sehr hohen Stellenwert in der jesuitischen Wissenschaft und Lehre inne. Die Erforschung von Himmel und Erde war nicht nur Teil des jesuitischen Verständnisses einer umfassenden universalen Wissenskultur, sondern auch in der Spiritualität des Ordens angelegt. Einer der grundlegenden Gedanken bestand darin, dass Gott in allen Dingen seiner Schöpfung zu finden sei, und somit auch in Dingen der Natur und des Kosmos. Ein Ziel der astronomischen Forschung war es zudem, dem Aberglauben entgegenzuwirken, der sich in der Bevölkerung auch aus der Beobachtung von Himmelsphänomenen speiste. Außerdem war die intensive Auseinandersetzung der Jesuiten mit Astronomie und Geographie auch im Kontext der Missionierung von großem Vorteil: Die Expertise in diesen angesehenen Wissenschaften, die Vermittlung von astronomischem und generell naturwissenschaftlichem Wissen und praktischen Fertigkeiten sowie der Austausch darüber führten zum Beispiel bei der Mission in China dazu, dass die Jesuiten an Einfluss gewannen und letztlich bis in Positionen am chinesischen Kaiserhof aufstiegen. Dies förderte auch die weitere Glaubensverbreitung. [1] Exemplarisch können der italienische Jesuit Matteo Ricci (1552–1610), der 1583 eine große Chinamission startete, und Adam Schall von Bell (1591–1666) genannt werden. Der Kölner Jesuit Schall von Bell hatte das Gymnasium Tricoronatum (kurz erklärt) besucht und Theologie und Mathematik studiert. Ab 1630 nahm er an der Chinamission teil. Schall von Bell wurde erster Hofastronom des chinesischen Kaisers in Peking. [2]

Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelten sich die Naturwissenschaften im Allgemeinen und besonders die Astronomie und Geographie maßgeblich weiter. Zu den bahnbrechendsten astronomischen Büchern der Zeit zählt zum Beispiel die Schrift Sidereus Nuncius (dt. Sternenbote oder Nachricht von den Sternen), des italienischen Wissenschaftlers Galileo Galilei (1564–1642) aus dem Jahr 1610, in der er bisher unbekannte Jupitermonde beschrieb und gedruckte Darstellungen der Mondoberfläche mitveröffentlichte. [3] Der Astronom stand auch im engen Austausch mit jesuitischen Gelehrten. Seine Schrift befand sich in der Kölner Jesuitenbibliothek neben Werken bedeutender Astronomen wie Nikolaus Kopernikus (1473–1543) und Johannes Kepler (1571–1630). [4] Auch auf dem Gebiet der Geographie und der damit verbundenen Kartographie führten Expeditionen und Entdeckungen zu einer immer genaueren Vermessung der Erde. Durch die Veröffentlichung von See- und Landkarten und die Erfindung und Verbreitung von Atlanten war es nicht mehr nur den Experten, sondern auch interessierten und gebildeten Personen möglich, die Erde auf diese Weise zu studieren. Zudem wurden kartographische Werke, zu denen auch Globen gehörten, künstlerisch ausgestaltet und mit Symbolen und Allegorien bestückt. Sie fungierten damit zum einen als Bildungsgut, zum anderen als Repräsentationsobjekte. Demnach fanden sie schnell Einzug sowohl in höfische, adlige und bürgerliche Sammlungen als auch in den Lehrkontext. Die Jesuiten schafften für ihre (Lehr-)Bibliothek unter anderem zwei zentrale kartographische Werke an: eine spätere Auflage des Atlas des berühmten Kartographen Gerhard Mercator und eine Version des Theatrum Orbis Terrarum (dt. Welttheater) von Abraham Ortelius, der 1570 in Antwerpen den ersten Atlas überhaupt veröffentlicht hatte.

Darstellungen der Mondoberfläche, aus: Galileo Galilei, Sidereus nuncius, in: Opere Bd. 2, 1718
Gymnasialbibliothek, N1/95-2 | Bildnachweis: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

Abraham Ortelius, Epitome Theatri Orteliani, 1589
Gymnasialbibliothek, GBXI42+B | Bildnachweis: Universitäts- und Stadtbibliothek Köln

Daneben befanden sich weitere astronomische und geographische Lehrbücher in der Bibliothek, zudem legten die Kölner Jesuiten selbst thematische Handschriften an. [6] Im Verlauf des 17. Jahrhunderts begannen sie ferner, astronomische und geographische Instrumente für die Lehre zu erwerben, die ab 1702 im Physikalischen Kabinett untergebracht waren. Dabei handelte es sich zum Beispiel um Erd- und Himmelsgloben, Weltkarten, um Sonnen-, Mond- und Sternuhren sowie Astrolabien – astronomische Messinstrumente, mit denen der sich drehende Himmel nachgestellt werden konnte. Wie in anderen Jesuitenniederlassungen wurde auch in Köln im Jahr 1729 eine eigene Sternwarte für astronomische Beobachtungen errichtet, die sich oberhalb des Physikalischen Kabinetts auf dem Dach des Kollegs befand. Das blaugestrichene Observatorium wurde mit Fernrohren und anderen Beobachtungs- und Messgeräten ausgestattet. Ab 1744 standen darüber hinaus noch ein größeres Newton-Teleskop und zwei Pendeluhren zur Verfügung.

Weltzeitbestimmungskarte, 1664
Kölnisches Stadtmuseum | Bildnachweis: Eigenes Foto

Astrolabium, Ende 16. Jahrhundert
Kölnisches Stadtmuseum | Bildnachweis: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds

Außerdem hing in der Sternwarte vermutlich ein fast 50 cm großes und acht Kilogramm schweres Astrolabium, das aus Löwen im heutigen Belgien in die Sammlung gekommen war und als Anschauungsobjekt diente. Astrolabien mit weitaus geringeren Durchmessern und weitere spezielle Instrumente wie Winkelmesser wurden im Unterricht der Astronomie und Geographie eingesetzt. Dieser hatte die Vermittlung genereller Kenntnisse über Himmel und Erde als Ziel, welches mittels verschiedener Lehrmaterialien verfolgt wurde. [7]

 


[1] Vgl. Rita Haub, Sonne, Mond und Sterne. Jesuiten als Entdecker, Kevelaer 2008, S. 10f. und S. 90.

[2] Vgl. Wolf D. Penning, Johann Adam Schall von Bell, in: Internetportal Rheinische Geschichte, URL: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-adam-schall-von-bell/DE-2086/lido/57c9434f1756c3.92605951 (03.08.2020); Haub, Sonne (wie Anm. 1), S. 66–68.

[3] Eine Ausgabe des Sidereus Nuncius von Galilei sorgte für einen der größten wissenschaftspolitischen Skandale der letzten Jahre. Im Jahr 2005 kam eine vermeintlich neu gefundene Ausgabe in Umlauf, die Zeichnungen des Mondes enthielt, die von Galilei selbst stammen sollten. Eine Gruppe von Forschenden bescheinigte dem Werk zunächst Echtheit. Der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp veröffentlichte daraufhin 2007 das Buch „Galilei, der Künstler“, in dem er das neu gefundene Exemplar mit den Zeichnungen Galileis als sensationellen Fund und authentisches Werk in seine Argumentation mit aufnahm. Im Jahr 2012 dann wurde der Sidereus Nuncius als Fälschung enttarnt. Bredekamp und andere Forschende arbeiteten den spektakulären Fall der Fälschung in einem 2014 erschienen Buch „A Galileo forgery: unmasking the New York Sidereus Nuncius“ auf. Vgl. dazu Horst Bredekamp, A Galileo forgery: unmasking the New York Sidereus Nuncius, Berlin 2014; Christian Speicher, Dekonstruktion einer Fälschung, in: Neue Zürcher Zeitung, 25.02.2014, URL: https://www.nzz.ch/wissenschaft/dekonstruktion-einer-faelschung-1.18250928 (26.07.2021); Thomas de Padova, Gefälschte Galilei-Zeichnungen "Es traf uns wie ein Blitz", Interview mit Horst Bredekamp, in: Tagesspiegel, 12.02.2014, URL: https://www.tagesspiegel.de/wissen/gefaelschte-galilei-zeichnungen-es-traf-uns-wie-ein-blitz/9466754-all.html (26.07.2021).

[4] Vgl. dazu zum Beispiel: Floris Cohen, Die zweite Erschaffung der Welt. Wie die moderne Naturwissenschaft entstand, Frankfurt am Main 2010, S. 82–178.

[5] Vgl. dazu zum Beispiel: Michael Bischoff / Vera Lüpkes / Wolfgang Crom (Hrsg.), Kartographie der Frühen Neuzeit. Weltbilder und Wirkungen (Studien zur Kultur der Renaissance 5), Marburg 2015; Ute Schneider, Die Macht der Karten. Eine Geschichte der Kartographie vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2018.

[6] Vgl. HAStK, Best. 7004 (Handschriften (GB quart)), 117A; HAStK, Best. 7004 (Handschriften (GB quart)), 116.

[7] Vgl. Josef Kuckhoff, Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums in Köln 1), Köln 1931, v. a. S. 595; Gunter Quarg, Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 14), Köln u. a. 1996, S. 120–122.

Empfohlene Zitierweise
Henrike Stein, Himmel und Erde in der jesuitischen Lehre, aus: Gudrun Gersmann (Hrsg.), Bücher, Bilder, Lehrobjekte: Die Sammlungen der ehemaligen Kölner Jesuiten (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00008), in: mapublishing, 2021 (Datum des letzten Besuchs).