Simon Grigo
Heute steht uns eine Fülle relativ junger digitaler Kommunikationsmedien zur Verfügung. Diese haben das 21. Jahrhundert bereits so stark geprägt, dass es mitunter schwierig ist, sich in Zeiten zu versetzen, in denen sie noch nicht zur Verfügung standen – der Begriff Medienrevolution drückt aus, wie tiefgreifend sie unsere Zeit verändert haben und immer noch verändern. Aber das Internet ist keinesfalls die erste technische Neuerung, die eine Medienrevolution bewirkt hat. Als der Jesuitenorden (kurz erklärt) 1540 in Rom gegründet wurde, lag die Erfindung des europäischen Buchdrucks mit beweglichen Lettern knapp ein Jahrhundert zurück; die bahnbrechenden Veränderungen, die diese Technologie mit sich brachte, waren immer noch dabei, sich zu entfalten. Grundsätzlich geändert hatten sich die Möglichkeiten, Bücher zu produzieren und zu reproduzieren: Anstatt sie in mühsamer Arbeit abzuschreiben, war es nun möglich, hunderte oder gar tausende Exemplare eines Textes auf einmal herzustellen und auch zu vertreiben. Für diejenigen, welche die Bücher kauften und lasen, bedeutete das, dass mit jeder entstehenden Druckerei auch die Verfügbarkeit von Büchern anstieg. [1] Die Jesuiten erkannten schnell, wie sie die Möglichkeiten des Buchdrucks für sich nutzen konnten.
Der Jesuitenorden war zwar nicht als Schulorden gegründet worden, übernahm aber bereits einige Jahre nach seiner Gründung den Unterricht in verschiedenen Einrichtungen in ganz Europa. 1556/57 wurde auch das Kölner Gymnasium Tricoronatum (kurz erklärt) (zumindest de facto) zur Jesuitenschule. [2] Die neue Aufgabe im Bildungswesen brachte neue Herausforderungen mit sich – die Jesuiten begannen bald damit, verbindliche Ordensregeln und später eine Studienordnung für alle Jesuitenschulen zu erarbeiten. Bereits in den Grundregeln des Ordens, den Constitutiones von 1558, wurde festgelegt, dass jedes Kolleg eine Bibliothek einrichten solle. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts folgten konkrete Bestimmungen zu Aufbau und Nutzung der Bibliotheken in den weiterentwickelten Ordensregeln und der Ratio Studiorum, der verbindlichen jesuitischen Studienordnung. Ein Kolleg mit angeschlossener Schule konnte man sich ohne eigenen Buchbestand gar nicht vorstellen. Dazu sollte auch ein festes Budget bereitgestellt werden, um den fortlaufenden Aufbau der Bibliothek sicherzustellen. [3]
Durch den Buchdruck hatten selbst kleinere Jesuitenkollegien die Möglichkeit, sich eine Bibliothek mit den wichtigsten Materialien für den Schulunterricht anzulegen. Größere Kollegien wie die Kölner Niederlassung (kurz erklärt) hingegen sammelten oft nicht nur die Bücher, die laut der Studienordnungen zu den Kernbestandteilen jesuitischer Lehre gehörten, sondern bauten einen weitaus größeren Buchbestand auf. Viele Bücher erwarben sie käuflich, andere erhielten sie aus Schenkungen und Erbschaften, sodass die Kölner Jesuitenbibliothek bis zur Auflösung des Ordens 1773 auf viele tausend Bücher [4] anwuchs und ganz unterschiedliche Themenbereiche abdeckte. Wie in anderen großen Kollegien eignete sich der Buchbestand nicht nur zum Einsatz in der Schule, sondern konnte auch den Ordensmitgliedern als Grundlage für eigene wissenschaftliche Forschungen dienen. [5] Mit wachsender Größe wurde es allerdings notwendig, den Buchbestand zu systematisieren, damit möglichst jedes Buch bei Bedarf auch schnell gefunden werden konnte. Für die ‚Hauptbibliothek‘ (bibliotheca maior) fertigten die Jesuiten zu diesem Zweck einen Katalog an, andere Bestände ordneten sie wohl durch ein System der Aufstellungsorte – so waren beispielsweise viele mathematisch-naturwissenschaftliche Bücher im Physikalischen Kabinett untergebracht. [6]
Nach der Auflösung des Ordens 1773 wurde die Jesuitenbibliothek weiterhin als Schulbibliothek genutzt – erst von den ehemaligen Jesuiten im Gymnasium Tricoronatum, nach dem Einmarsch der Franzosen (kurz erklärt) und der Schließung der Universität von der Kölner Zentralschule (kurz erklärt), zuletzt nach 1815 von den Preußen (kurz erklärt) im Marzellengymnasium. Für die Büchersammlung, die auf der jesuitischen Bibliothek aufbaute, aber in der französischen Zeit um Werke aus den anderen beiden Kölner Gymnasien sowie aus Klöstern in oder um Köln erweitert wurde, bürgerte sich schließlich der Begriff ‚Gymnasialbibliothek‘ ein. Noch im 19. Jahrhundert hielt man die Bibliothek durch Neuerwerbungen aktuell. Dabei wurden die Bücher nicht nach ihrer Herkunft aus bestimmten Bibliotheken, sondern nach Themengebieten sortiert. In der heutigen Gymnasialbibliothek stehen deshalb Bücher aus ganz verschiedenen Epochen und Kontexten nebeneinander. Verwaltet wurde die Bibliothek seit der Zeit der französischen Herrschaft vom Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (kurz erklärt), einer im Jahr 1800 zur institutionellen Verwaltung für die Bildungsstiftungen und das historische Schulvermögen gegründeten Körperschaft, die diese Aufgaben seit über zwei Jahrhunderten pflegt: So ist der KGS bis heute Eigentümerin der Gymnasialbibliothek, [7] die im Jahr 1920 gemeinsam mit anderen städtischen Sammlungen als Grundstock für die Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek diente. [8] Gegenwärtig ist sie dort als Sondersammlung Gymnasialbibliothek einsehbar. Die jesuitischen Bestände in der Gymnasialbibliothek werden aktuell im Rahmen eines vom KGS geförderten Projekts an der USB Köln erschlossen, dessen Ergebnisse über eine Portalseite verfügbar sind. Mit dem erklärten Projektziel, die Kölner Jesuitenbibliothek virtuell zu rekonstruieren, schließt sich auch der Kreis von der Medienrevolution des Buchdrucks zur heutigen digitalen Medienrevolution.
Zum Portal der Jesuitenbibliothek mit aktuellem Erschließungsstand der Büchersammlung
[1] Vgl. Martyn Lyons, Das Buch. Eine illustrierte Geschichte, Hildesheim 2012, S. 55–82.
[2] Vgl. Siegfried Schmidt, Das Gymnasium Tricoronatum unter der Regentschaft der Kölner Jesuiten, in: Heinz Finger (Hrsg.), Die Anfänge der Gesellschaft Jesu und das erste Jesuitenkolleg in Köln. Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der Deutschen Provinz der Jesuiten zum Ignatischen Jahr 2006 (Libelli Rhenani 17), S. 71–186, hier: S. 81–83.
[3] Vgl. Wilfried Enderle, Die Jesuitenbibliothek im 17. Jahrhundert. Das Beispiel der Bibliothek des Düsseldorfer Kollegs 1619–1773, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 41 (1994), S. 147–213, hier: S. 152–157. Zu den Regelungen in den Constitutiones, den Regulae und der Ratio Studiorum vgl. ebd., S. 154.
[4] Dies wird schon durch eine Überschlagsrechnung deutlich; wie viele Bände einmal in der Kölner Jesuitenbibliothek standen, ist jedoch ungeklärt. Vgl. Gunter Quarg, Gymnasialbibliothek und Vorgängereinrichtungen, in: Bernhard Fabian (Hrsg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 4, Hildesheim 1993, S. 42f.
[5] Vgl. Markus Friedrich, Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn, München 2016, S. 312–320.
[6] Vgl. zu den Standorten der Jesuitenbibliothek den Beitrag des Autors auf der Portalseite Jesuitensammlung Köln der USB, URL: https://jesuitensammlung.ub.uni-koeln.de/portal/info/project.html?l=de (25.05.2021). Dort sind auch die überlieferten Kataloge der Jesuitenbibliothek als Digitalisate verlinkt.
[7] Vgl. Wolfgang Schmitz, Die Kölner Gymnasialbibliothek. Buchbestände und Handschriften aus sechs Jahrhunderten, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hrsg.), Bildung stiften, Köln 2000, S. 84–93, hier: S. 86–92.
[8] Vgl. Gunter Quarg, ‚Ganz Köln steckt voller Bücherschätze‘. Von der Ratsbibliothek zur Universitäts- und Stadtbibliothek 1602–2002, Köln 2002, S. 178f.