Kulturelles Erbe der Kölner Jesuiten

Henrike Stein

Die Stadt Köln verfügt über ein bedeutendes und vielfältiges Kulturerbe, das neben „Dingen“ der materiellen Kultur auch immaterielle Kulturgüter wie zum Beispiel den Kölschen Karneval umfasst. Die Spanne an materiellen Zeugnissen reicht dabei von archäologischen Fundstücken aus der Zeit des germanischen Stammes der Ubier und der Gründung der römischen Colonia Agrippina über Quellen und Kunstwerke des Mittelalters bis zu Sammlungen der Frühen Neuzeit und Objekten der jüngeren Vergangenheit. Ein Beispiel sind die Sammlungen Ferdinand Franz Wallrafs (1748–1824), die den Grundstock der heutigen Kölner Museen bilden.

Porträt Ignatius von Loyola, 17. Jahrhundert
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud | Bildnachweis: Rheinisches Bildarchiv Köln, Sabrina Walz, rba_d035898

Eine weitere besondere Zusammenstellung von Kunst- und Kulturgütern stellen die umfangreichen Sammlungen der ehemaligen Kölner Jesuiten dar. Der im Jahre 1540 durch Ignatius von Loyola in Rom gegründete Jesuitenorden (kurz erklärt) hatte sich schnell in ganz Europa und auch darüber hinaus etabliert. Neben der Glaubensverbreitung im Sinne der Katholischen Reform (kurz erklärt) gehörten von Anfang an auch Bildung und Schulwesen zu den Kernaufgaben des Ordens. [1] Bis zur Auflösung des Ordens in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die Jesuiten zu führenden Protagonisten im Bildungswesen, in Wissenschaft, Kunst und Kultur. [2]

Ab 1542 kamen die Jesuiten auch nach Köln und gründeten in der Marzellenstraße in der Nähe des Domes die erste Ordensniederlassung nördlich der Alpen. Bald darauf spielten sie auch im Bildungswesen der Stadt eine maßgebliche Rolle. Der aus Köln stammende Johannes Rethius (Abb. Porträt Rethius), Lehrer am lokalen Gymnasium Tricoronatum (kurz erklärt), war nach seinem Studium in den Jesuitenorden eingetreten. Im Jahr 1556 erhielt er aus der Ordenszentrale in Rom den Auftrag, das Tricoronatum zu übernehmen. Nach geschickten Verhandlungen mit dem Kölner Rat erhielt der Jesuitenorden schließlich die faktische Leitung über das Gymnasium: Johannes Rethius wurde der erste Rektor, Regent (kurz erklärt) genannt. Rechtlich gehörte das Gymnasium weiterhin der Stadt. Zusammen mit zwei anderen städtischen Gymnasien, dem Montanum und dem Laurentianum, bildete es die Philosophische Fakultät der alten Kölner Universität (kurz erklärt)[3]

Unter den Jesuiten entwickelte sich das Tricoronatum in der Folge zu einer der bedeutendsten historischen Bildungsstätten Kölns. [4] Der Lehrplan und der Unterricht wurden nach der jesuitischen Studienordnung aus Rom, der Ratio studiorum, neu strukturiert. [5] Steigende Schülerzahlen waren ein Anzeichen für den Erfolg der jesuitischen Lehre in Köln.

Im Verlauf des 17. Jahrhunderts wurde die Anschaulichkeit der Unterrichtsgegenstände zu einer Besonderheit im jesuitisch geleiteten Gymnasium. Das Lehren und Lernen durch Anschauung von (didaktischen) Materialien wurde im 18. Jahrhundert weiter ausgebildet und verbreitet. Die Basis dafür legten jesuitische Wissenschaftler wie Christoph Clavius (1538–1612) und Christoph Grienberger (1561–1636) in der Jesuitenschule in Rom, dem Collegium Romanum (kurz erklärt), in dem sie bereits um 1600 ein Musaeum (kurz erklärt), ein Studierzimmer mit Lehrmaterialien, Objekten und Instrumenten für Experimente, angelegt hatten. Der Jesuit Athanasius Kircher (1602–1680) baute darauf auf und entwickelte ab 1651 das Musaeum Kircherianum in Rom, eine umfangreiche (Lehr-)Sammlung von Büchern und Schriftgut, Antiken, Porträts, Druckgraphiken, Zeichnungen, Münzen, Medaillen, historischen und ethnographischen Objekte, Naturalien, Kuriositäten und einer Vielzahl an naturwissenschaftlichen Instrumenten. Ein Grundgedanke des Musaeum war, die Wissenskultur der ganzen Welt, die für die Jesuiten die göttliche Ordnung widerspiegelte, im Kleinen abzubilden. Diese Sammlung wurde vorbildhaft für viele andere Jesuitenkollegien. [6]

Auch im Kölner Gymnasium Tricoronatum wurde die Anschaulichkeit des Unterrichts bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als wichtig erkannt. Dafür wurden verschiedene (zunächst naturwissenschaftliche) Instrumente als Lehrobjekte angeschafft. Eine stetig wachsende Büchersammlung gab es bereits seit Übernahme der Schule im Jahre 1556. Darauf aufbauend legten die Jesuiten ab dem 18. Jahrhundert eine umfangreiche Sammlung naturwissenschaftlicher Instrumente, weiterer Bücher, Druckgraphiken, Zeichnungen, Münzen, antiker Kunstwerke und Naturalien an, die im Unterricht eingesetzt wurde. Sie war in verschiedenen Bibliotheken und Studierzimmern untergebracht. Das Musaeum mathematicum (kurz erklärt) oder Physikalisches Kabinett, wie es in deutscher Sprache genannt wurde, versammelte ab 1702 die naturwissenschaftlichen Gerätschaften und Fachliteratur, daneben gab es sogar eine Sternwarte, ein Labor und eine Apotheke. [7] In einem weiteren Studierraum, dem Musaeum antiquitatum et rerum curiosarum (kurz erklärt) oder auch Natural Zimmer, wurden die Objekte der Bildenden Kunst und Naturgeschichte, die Druckgraphiken, Zeichnungen, Münzen und Naturalien, geordnet und aufbewahrt. All diese Sammlungen meinen wir, wenn wir heute vom Kulturellen Erbe der ehemaligen Kölner Jesuiten sprechen. [8]

Als der (globale) Jesuitenorden im Jahr 1773 vom Papst aufgehoben wurde, ging das Schul- und Stiftungsvermögen, zu dem auch die jesuitischen Sammlungen gehörten, wieder an die Stadt Köln über. Das Gymnasium Tricoronatum wurde von da an wieder zu einer städtischen Einrichtung, an der auch die ehemals jesuitischen Lehrer und Professoren weiterhin tätig sein konnten. Die jesuitischen Sammlungen wurden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts schließlich auch in Lehrveranstaltungen für die gesamte Philosophische Fakultät benutzt. [9]

Große Einschnitte in die Sammlungsgeschichte gab es in der Zeit der französischen Besatzung Kölns (kurz erklärt), da sich das Schul- und Universitätswesen mit dem Einzug der Franzosen im Oktober des Jahres 1794 von Grund auf veränderte. Das Jahr 1798 brachte schließlich sogar das Ende der alten Kölner Universität und der Gymnasien mit sich. Auch von der französischen Konfiskationspolitik blieb die ehemalige Reichsstadt nicht verschont, da große Teile der ehemaligen Jesuitensammlung (Bücher, Druckgraphiken, Zeichnungen, Naturalien, Münzen, Antiken) schon im Herbst 1794 von den eigens nach Köln entsandten französischen Kunstkommissaren entwendet und nach Paris in den Louvre gebracht wurden. Das Physikalische Kabinett und ein Restbestand an Büchern verlieb jedoch in Köln. In der 1798 von den Franzosen eröffneten Zentralschule (kurz erklärt) wurde das Kabinett weiterhin als Lehrsammlung genutzt und stark erweitert. Obwohl Teile der Druckgraphik-, Zeichnungs- und Büchersammlung in der  preußischen Zeit an die Kölner zurückgegeben wurden, befindet sich bis heute ein bedeutender Teil des Schrift- und Kunstguts aus jesuitischer Herkunft nach wie vor in Paris. Die naturgeschichtlichen Objekte, Münzen und antiken Stücke sind ebenfalls nicht nach Köln zurückgekehrt. [10]

Die Kölner Sammlungsgegenstände der ehemaligen Jesuiten liegen heute über die verschiedenen städtischen Institutionen verstreut. Die naturwissenschaftlichen Objekte bewahrt das Kölnische Stadtmuseum, die graphischen Sammlungen liegen im Wallraf-Richartz-Museum, die Bücher und Handschriften in der Kölner Universitäts- und Stadtbibliothek, das archivalische Schriftgut im Historischen Archiv der Stadt Köln und die Porträtsammlung im Depot des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds. Eigentümer dieser Sammlungen aus dem Kulturellen Erbe der Jesuiten ist der Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (kurz erklärt), der im Jahr 1800 zur institutionellen Verwaltung für die Bildungsstiftungen und das historische Schulvermögen gegründet wurde und diese Aufgaben bis heute wahrnimmt. [11]

Bildnachweise: Porträt Rethius/Rheinisches Bildarchiv Köln, Nina Siefke, rba_d054101, Astrolabium/Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Buch Jesuitenbibliothek/Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds, Vogelzeichnung/Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, WRM_GZ_05729

[1]  Markus Friedrich, Die Jesuiten. Aufstieg, Niedergang, Neubeginn, München 2016, S. 284–392.

[2] Vgl. Christiano Casalini, Rise, Character, and Development of Jesuit Education: Teaching the World, in: Ines G. Županov (Hrsg.), The Oxford Handbook of the Jesuits, April 2018 [Online-Version, URL: http://www.oxfordhandbooks.com/view/10.1093/oxfordhb/9780190639631.001.0001/oxfordhb-9780190639631-e-7?rskey=WsmZa4&result=1 (13.05.2020)]. Siehe auch John O’Malley (Hrsg.), The Jesuits: Cultures, Sciences, and the Arts 1540–1773, Toronto 2000.

[3] Vgl. Karl Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung, Paderborn / München 1981, S. 99–109; Heinrich Rößeler, Das Gymnasium Tricoronatum von 1552 bis zur Französischen Revolution, in: Dreikönigsgymnasium Köln (Hrsg.), Tricoronatum. Festschrift zur 400-Jahr-Feier des Dreikönigsgymnasiums, Köln 1952, S. 24–40, hier: S. 24–35; Josef Kuckhoff, Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum. Ein Querschnitt durch die Geschichte der Jugenderziehung in Köln vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Rheinischen Museums in Köln 1), Köln 1931, S. 88–110.

[4] Vgl. dazu zum Beispiel Gerd Schwerhoff, Köln im Ancien Régime (Geschichte der Stadt Köln 7), Köln 2017, S. 304–317; Götz-Rüdiger Tewes, Das höhere Bildungswesen im alten Köln. Zu den Bursen und Gymnasien der alten Kölner Universität, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hrsg.), Bildung stiften, Köln 2000, S. 8–33, hier: S. 31f.

[5] Vgl. Hengst, Jesuitenuniversitäten (wie Anm. 3), S. 53–72.

[6] Vgl. Angela Mayer-Deutsch, Das Musaeum Kircherianum. Kontemplative Momente, historische Rekonstruktion, Bildrhetorik, Zürich 2010, S. 79–89; Andreas Grote, Vorrede – Das Objekt als Symbol, in: Ders. (Hrsg.), Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450–1800 (Berliner Schriften zur Museumskunde 10), Opladen 1994, S. 11–20, hier: S. 11.

[7] Umfangreiche und detaillierte Informationen zur Sammlungsgeschichte, den Objekten und historischen Quellen des Physikalischen Kabinetts unter: Gudrun Gersmann (Hrsg.), Das Physikalische Kabinett – Von der jesuitischen Lehrsammlung zum kulturellen Erbe (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00004), in: mapublishing, 2019, URL: https://kabinett.mapublishing-lab.uni-koeln.de/ (28.06.2021).

[8] Vgl. dazu: Christoph Bellot, Grafische Sammlung und physikalisches Kabinett des ehemaligen Kölner Jesuitenkollegs, in: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hrsg.), Bildung stiften, Köln 2000, S. 120–147; Gunter Quarg, Die Sammlungen des Kölner Jesuitenkollegiums nach der Aufhebung des Ordens 1773, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 62 (1991), S. 153–173.

[9] Vgl. Gunter Quarg, Naturkunde und Naturwissenschaften an der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 14), Köln u. a. 1996, S. 118–120.

 [10] Vgl. Bénédicte Savoy, Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien / Köln / Weimar 2011, S. 25–64, vor allem: S. 47–50; Klaus Pabst, Der Kölner Universitätsgedanke zwischen Französischer Revolution und Preussischer Reaktion (1794–1818), in: Ders. / Bernd Heimbüchel (Hrsg.), Kölner Universitätsgeschichte II. Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln 1988, S. 1–100, hier: S. 5–42.

 [11] Vgl. dazu: Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds (Hrsg.), Bildung stiften, Köln 2000.

Empfohlene Zitierweise
Henrike Stein, Kulturelles Erbe der Kölner Jesuiten, aus: Gudrun Gersmann (Hrsg.), Bücher, Bilder, Lehrobjekte: Die Sammlungen der ehemaligen Kölner Jesuiten (DOI: https://dx.doi.org/10.18716/map/00008), in: mapublishing, 2021 (Datum des letzten Besuchs).